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Maximale Belichtungszeiten

Problemstellung

Sidereal_day_(prograde).png ‎- CC BY-SA 3.0 - Gdr/Chris 828
Sidereal_day_(prograde).png ‎- CC BY-SA 3.0 – Gdr/Chris 828

Die Erde dreht sich um ihre eigene Achse und zwar gegenüber den Fixsternen – welche wir fotografieren wollen – in 23 Stunden 56 Minuten und 4.099 Sekunden (23.9345 h; siderischer Tag). Das ist ein wenig kürzer als unser gewohnter Sonnentag von 24 Stunden. Warum das so ist, zeigt die folgende Figur.

Für ein Kulmination mit der Sonne benötigt die Erde ca. 4 Minuten mehr als eine volle Umdrehung der Erde bezogen auf einen Fixstern, da die Erde ja auch um die Sonne wandert und dabei pro Tag eine gewisse Strecke zurücklegt (1 nach 2: Siderischer Tag, 1 nach 3: Sonnentag).

Für den Fotografen bedeutet die Erdrotation, dass sich die zu fotografierenden Objekte (Fixsterne usw.) scheinbar in die entgegengesetzte Richtung der Erddrehung bewegen.

Ohne geeignete Gegenmassnahmen würden die Sterne auf dem Film/Sensor nicht als Punkte, sondern als mehr oder weniger lange Striche abgebildet.

Grundsätzlich gibt es zwei Methoden, um punktförmige Sternabbildungen zu realisieren:

  1. Genügend kurze Belichtungszeiten, damit die scheinbare Sternenbewegung genügend klein wird und auf dem fertigen Bild nicht oder nur schwer wahrgenommen werden kann.
  2. Eine sogenannte astronomische Nachführung, welche die Erdrotation in entgegengesetzter  Drehrichtung kompensiert. Als Basis für die Rotationsgeschwindigkeit dient der siderische Tag (86’164 s).

Im Folgenden diskutiere ich diese beiden Methoden und deren Möglichkeiten, Grenzen und Randbedingungen.

Maximale Belichtungszeiten ohne Nachführung

Möchte ich den Sternenhimmel ohne astronomische Nachführung fotografieren, also mit fest installierter und ausgerichteter Kamera, dann sind der maximalen Belichtungszeit (t) recht enge Grenzen gesetzt.

Diese Grenzen werden im Wesentlichen von folgenden Einflussfaktoren bestimmt:

  • T: Umlaufzeit der Erde, siderischer Tag: 86’164 [s]
  • f: Brennweite des verwendeten Objektivs (Kleinbild 24 x 36 mm) [mm]
  • δ: Deklinationswinkel ausgehend vom Himmelsäquator [grad]
  • Z: maximal zulässige Strichspur auf dem Film/Sensor [mm]
  • C: Cropfaktor des Kamerasensors bezogen auf Kleinbild 24 x 36 mm

Daraus folgt die folgende Formel:

Maximale Belichtungszeiten

Die nachfolgende Tabelle zeigt die maximalen Belichtungszeiten für einen Kleinbildsensor (C = 1).

Brennweite Nikon D800: 2 px
(Z = 0.01 mm, δ = 0°)
Nikon D800: 6 px
(Z = 0.03 mm, δ = 0°)
500er-Regel
(Z = 0.036 mm, δ = 0°)
600er-Regel
(Z = 0.043 mm, δ = 0°)
15 mm 9 s 27 s 33 s 40 s
24 mm 6 s 18 s 21 s 25 s
35 mm 4 s 12 s 14 s 17 s
50 mm 3 s 9 s 10 s 12 s
70 mm 2 s 6 s 7 s 8.5
100 mm 1.4 s 4 s 5 s 6 s
200 mm 0.7 s 2 s 2.5 s 3 s
300 mm 0.5 s 1.5 s 1.6 s 2 s

Für einen APS-C-Sensor verkürzen sich die Zeiten um den Crop-Faktor C = 1.5. Für einen Deklinationswinkel von 45 Grad (in der Schweiz ungefähr im Zenith) verlängern sich die Zeiten um den Faktor 1.414.

Die letzten beiden Kolonnen entsprechen den populären 500er- und 600er-Regeln. Man dividiert einfach die Zahl 500 bzw. 600 durch die verwendete Brennweite und dividiert gegebenenfalls durch den Crop-Faktor. Insbesondere die 500er-Regel ergibt gute und schnell berechenbare Werte.

Maximale Belichtungszeiten mit astronomischer Nachführung

Wie oben beschrieben, sind die maximalen Belichtungszeiten bei fest installierter Kamera sehr limitiert. Auch das Kombinieren (Stacking) vieler Einzelaufnahmen hilft bei lichtschwachen Objekten wenig, da pro Einzelbelichtung einfach zu wenig Photonen auf den Sensor treffen.

Mit Kameras, welche auf einer astronomischen Nachführ-Montierung installiert sind, sind hingegen theoretisch beliebig lange Belichtungszeiten möglich. Theoretisch ja, aber praktisch nein. Verschiedene Randbedingungen und Fehlerquellen limitieren die möglichen Belichtungszeiten unterschiedlich stark.

Anmerkung: Bei den folgenden Betrachtungen beschränke ich mich auf die relativ einfachen Reisemontierungen wie Star Adventurer, Polarie, Vixen EQ 3 von Sky-Watcher etc. Selbstverständlich lassen sich mit schwereren und teuren Festinstallationen und/oder mit sog. Auto-Guiding wesentlich längere Belichtungszeiten realisieren. Diese Systeme sind aber nicht in meinem Fokus; ich stehe auf Mobilität.

Präzision der Ausrichtung auf den Himmelspol.

Wichtigste Grundvoraussetzung für möglichst lange Belichtungszeiten ist die präzise Ausrichtung der Rotationsachse der Nachführung auf den Himmelspol. Um diesen Vorgang durchzuführen («Einnordung»), bedient man sich eines sogenannten Polsucherfernrohrs, welches idealerweise genau in der der Rektaszensionsachse (Drehachse) der Nachführung montiert ist. Das Fadenkreuz des Polsuchers muss exakt auf der Drehachse liegen und unbedingt rotationssymmetrisch justiert sein, d. h. die Zentrierung ist in jeder Winkelstellung der Achse gewährleistet. Diese Justierung ist einmalig durchzuführen und in sinnvollen Abständen zu überprüfen (siehe Handbuch des entsprechenden Systems).

Polsucherdurchblick
Polsucherdurchblick

Polaris-Positionsbestimmung

Auf der nördlichen Hemisphäre erfolgt die Einnordung auf den Polarstern («Polaris»), welcher nach bekannten Methoden leicht zu finden ist. Die Position von Polaris relativ zum wahren Himmelspol ist abhängig vom Standort des Beobachters und der jeweiligen Zeit. Smartphone-Apps ersetzen die frühere mühsame Rechnerei. Ganz einfach den Polarstern gemäss der Smartphone-Abbildung durch Verstellen der Azimut- und Deklinationsachse auf der Einstellscheibe des Polsuchers positionieren und die Schrauben festziehen. Nachführung starten. Fertig.

Nun kann die Kamera auf das gewünschte Objekt ausgerichtet werden und die Fotosession kann beginnen. Sobald die Kamera in der gewünschten Position ist, empfiehlt es sich, die Einnordung nochmals zu überprüfen und notfalls zu korrigieren.

Polsucher App
Polsucher App

Stabilität und Vibrationsanfälligkeit der gesamten Installation (Stativ, Montierung, Kamera)

Einen grossen Einfluss auf die Verwackelungsfreiheit und damit auf eine optimale Punktförmigkeit der Sterne hat natürlich die Stabilität der gesamten Installation. Ein stabiles Stativ bildet dabei die Basis. Es sollte auf eine möglichst niedrige Höhe eingestellt werden, was die ganze Sache natürlich nicht bequemer macht. Die Position der Kamera sollte möglichst nahe bei der Montierung liegen und mit Gegengewichten ausgeglichen sein.

Spiegelvorauslösung bzw. Auslöseverzögerung macht ebenfalls Sinn. Wichtig aber ist ein Kabelfernauslöser bzw. ein programmierbarer Intervalltimer. Dieser sollte im Voraus programmiert werden (Belichtungszeit, Intervall, Anzahl Bilder) und anschliessend während der ganzen Foto-Session nicht mehr berührt werden. Das gilt übrigens für die gesamte Aufstellung.

Präzision der Montierung, Periodischer Schneckenfehler, Temperatur- und andere Umwelteinflüsse

Weitere Einflussfaktoren sind natürlich die Fertigungspräzision und -Qualität der Montierung. Bei leichten Reisemontierungen muss man hier natürlich gewisse Abstriche machen. Diese fallen aber verglichen mit den obigen Aspekten kaum ins Gewicht, wenn bei den Belichtungszeiten eine obere Grenze nicht überschritten wird.

Ich belichte mit meiner Sky-Watcher «Star Adventurer» und der Kamera Nikon D800 meist im Bereich von 30 Sekunden bis 3 Minuten, fast immer benutze ich eine Belichtungszeit von 1 Minute. Damit erreiche ich bei sorgfältiger Einnordung und Aufstellung ausgezeichnete Resultate, d. h. präzise punktförmige Sternabbildungen. Je nach Setup können die maximalen Zeiten natürlich variieren. Am besten macht man eigene Versuchsreihen.

Schlussbemerkung: Die Blendenöffnung und die Belichtungszeit sind die einzigen Einflussfaktoren auf die Menge Licht (Anzahl Photonen), welche auf den Sensor trifft. Die vielfach aufgerufene ISO-Zahl hat darauf keinerlei Einfluss. Warum das so ist, beschreibe ich in einem nächsten Beitrag «Die optimale ISO-Einstellung»

Zusätzlich beeinflusst natürlich die präzise Fokussierung die Qualität der Stern-Abbildungen. Auch dazu werde ich einen ausführlichen Beitrag schreiben: «Scharfe Sterne».

Montierung Star Adventurer