Ein Gastartikel von Jürgen Gulbins im «fotoespresso» 2/2017 der dpunkt-Verlags GmbH, Heidelberg. Mit bestem Dank für die Erlaubnis zur Publikation. Alle Rechte (Text und Bilder) beim Autor Jürgen Gulbins.
«Eigentlich wollte ich schreiben »… die letzten paar hundert Meter gehen«, habe mir dann aber überlegt, dass es nicht selten mehr als diese sind. Also passt die ›letzte Meile‹ ganz gut. Ich meine hier den Weg, den es kostet, um ein gutes Bild zu erzielen.
Natürlich gibt es – fotografiert man viel – immer auch ein paar Glückstreffer, insbesondere dann, wenn man eine interessante oder exotische Szene vor sich hat, etwa im Urlaub in fernen Gefilden wie der Arktis oder Antarktis oder in Japan oder gar China oder auf Safari in Afrika. Da kommen schon häufiger ›gute Bilder‹ zustande, insbesondere dann, wenn man einen Führer hat, der einen an die richtige Stelle kutschiert – sofern nicht die anderen ›Safaristen‹ die Szene mit ihrer Anwesenheit verderben, indem sie das ›Objekt‹ wie ›Foto- Geier‹ umlagern.
Möchte man wirklich ›eigene‹ Bilder, ungewöhnliche Bilder, so muss man aber in aller Regel mehr tun: muss planen, was die Szene, die passende Zeit, das richtige Wetter und Licht, die geeignete Ausrüstung und die richtige Belichtung sowie den passenden Ausschnitt betrifft. Man muss den Fokus auf das bildrelevante Objekt setzen – mehr als nur ›durchgucken‹, zielen und abdrücken. Man muss sich überlegen, welche Belichtungskorrektur erforderlich ist und einige technische Fragen mehr, etwa wohin man den Fokus legt und wie die Gestaltung hinsichtlich der Schärfentiefe aussehen soll, was also in der Schärfe und was in der Unschärfe liegen soll. Aber das sind eher die technischen Aspekte.
Noch wichtiger – oder zumindest ebenso wichtig – sind andere Punkte. Etwa die Überlegung, was man mit seinem Bild ausdrücken oder kommunizieren möchte. Man muss sich die Frage stellen, wie sich das geplante Bild von den tausenden ähnlichen abheben soll, sofern es nicht nur um die reine Dokumentation eines Events oder der eigenen Reise geht. Was an einer Szene beeindruckt einen? Wie kann man die Stimmung oder die empfundenen Gefühle im Bild ausdrücken, umsetzen? Die Kamera kennt keine Gefühle, und sie bildet mit ihrer Optik eine Szene teilweise deutlich anders ab, als das Auge sie in unser Hirn transportiert. Wie kann ich diesen Unterschied überwinden oder nutzen?
Es wird in vielen Büchern davon gesprochen, einen ›eigenen Stil‹ zu finden. Ein eigener Stil mag die eigenen Bilder von den ›üblichen Bildern‹ differenzieren. Aber ein wirklich eigener Stil ist schwierig zu finden, denn in der Fotografie ist schon extrem viel ausprobiert worden. Oft kennt man es nur noch nicht. Und mancher ›eigene Stil‹ wird nicht selten zur ›eigenen Masche‹ und für den Betrachter deshalb schnell langweilig.
In meinen Augen ist es oft besser, ›konsistent gute Bilder zu machen‹, deren Stil eher auf die Szene und die gewünschte Aussage abgestimmt ist als sich an einem sich wiederholenden ›eigenen Stil‹ abzuarbeiten.
Ich muss zugeben, dass ich selbst ein schlechter Läufer bin, eine zuweilen richtig träge, bequeme Person. Ich scheue es oft, die ›letzte Meile‹ zu gehen. Und ich büße dafür immer wieder mit nicht optimalen Bildern, mit ›bequemen Bildern‹, möchte dies aber natürlich ›meinen eigenen Stil‹ nennen.
Es ist mühsam, ein Stativ mitzuschleppen, das zumeist bessere Aufnahmen ergeben würde. Aus zwei Gründen liefern Stativaufnahmen oft bessere Ergebnisse: Die Bilder sind etwas schärfer, da weniger verwackelt, oder/und haben eine größere Schärfentiefe (wo benötigt), da man mit längeren Belichtungszeiten arbeiten kann. Und die Arbeit mit dem Stativ entschleunigt. Sie erlaubt eine bessere Kontrolle der Bildränder; man schießt weniger Bilder und ›komponiert‹ sorgfältiger. Man darf aber nicht der Trägheit verfallen, alles aus einer Höhe aufzunehmen, muss auch mit dem Stativ flexibel bleiben, es in der Höhe verstellen, bei Bedarf ganz flach in Bodennähe bringen oder eben irgendwo höher positionieren – je nachdem, wie die Szene es erfordert. Auch der Kabelauslöser, der praktisch nur mit Stativ sinnvoll einsetzbar ist, trägt ein weiteres Quäntchen an Schärfe bei und erlaubt bei DSLRs eventuell sogar mit Spiegelvorauslösung zu arbeiten, was wiederum der Schärfe zuträglich sein kann, insbesondere bei längeren Belichtungszeiten. Und man muss unter Umständen für eine vor einem liegende Szene das Objektiv wechseln oder vorausschauend bereits aufgesetzt haben. Auch dies erfordert Erfahrung.
Aber ich meinte mit der ›letzten Meile‹ nicht nur den Weg im übertragenen Sinne, sondern auch im physikalischen Sinne. Denn zumindest in der Natur liegen die besonderen Flecken fast immer etwas abseits der Straße und sind mit weiteren Wegen verbunden, teilweise durch schwerer begehbares Gelände. Bei der Die letzte Meile gehen Wildtierfotografie ist das allemal der Fall. Oder man muss einen Berg besteigen, eine Treppe hochgehen oder einen Turm erklimmen, um die besonderen Perspektiven zu erhalten (und zuweilen war dies umsonst). Auch die anderen, die Betrachter, sind nämlich bequem und verpassen so einige besondere Anblicke, die sie dann in Ihrem Bild eventuell erleben können.
In anderen Fällen ist die ›letzte Meile‹ die Geduld, die man braucht, um auf das richtige Licht zu warten; die Geduld, bis ein Blickfeld frei von Autos oder Passanten ist oder bis Passanten für eine Komposition an einer passenden Stelle stehen, bis ein Kind auf dem Spielplatz lachend rutscht oder schaukelt. Oft muss man etwas nach links oder rechts gehen und ausprobieren, wie und wo sich der ›richtige‹ Ausschnitt ergibt. Zuweilen muss man störende Elemente entfernen, ein weggeworfenes Papier oder anderen Abfall in der Szene. Die Einstellung »Das retuschiere ich einfach in Photoshop weg« ist nicht gerade qualitätsfördernd (und ich bekenne mich wieder einmal schuldig). Oder man muss sehr früh aufstehen, um das richtige Licht zu bekommen, oder lange aufbleiben, etwa bei Nachtaufnahmen, um den ›richtigen‹ Himmel zu erleben.
Zu dieser letzten Meile gehört in meinen Augen aber auch die digitale Nachbearbeitung. Sie hat schon immer dazugehört, auch wenn es damals die Arbeit in der ›nassen Dunkelkammer‹ mit dem Vergrößerer und in den Entwicklungsbädern war. So benötigt Bruce Barnbaum, wie er erzählt, für einen guten Print in der Dunkelkammer oft mehr als eine Stunde, muss abwedeln und nachbelichten, muss Masken erstellen und ausprobieren und mit Papierhärten experimentieren.
Zu den ›letzten Schritten‹ der ›letzten Meile‹ gehört in meinen Augen auch der Druck. Neben den Schritten für die Aufbereitung des zu druckenden oder auszubelichtenden Bilds zählen hierzu auch die Formatwahl, die Festlegung einer geeigneten Größe, die Wahl eines Papiers oder anderen Mediums, welches das Motiv ›in Szene‹ setzt. Schließlich gehört auch dazu, den Druck aufzuziehen, mit einem Passepartout zu versehen und zu rahmen. Nach all der Mühe verdient ein gutes, gelungenes Bild auch einen guten Platz bei der Hängung. All dies zähle ich zur ›letzten Meile‹.
Sie sehen, der Weg ist zuweilen lang und mühsam. Aber das gehört eben zur ›guten Fotografie‹. Und nicht immer gelingt es. Man sollte es aber immer aufs Neue probieren. Das war einer meiner Neujahrsvorsätze für 2017. Die ersten drei Monate sind inzwischen vergangen. Ich muss jetzt nur noch ›die letzten paar hundert Meter‹ gehen. Und weiter probieren, dieses Jahr und nächstes Jahr und übernächstes Jahr und …
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